„Das Versprechen“ – Friedrich Dürrenmatt

Die Frau schaute ihn nun an, drohend, gebietend. „Versprechen Sie das?“

„Ich verspreche es, Frau Moser“, sagte der Kommissar, auf einmal nur vom Wunsche bestimmt, den Ort zu verlassen.

„Bei Ihrer Seligkeit?“

Der Kommissar stutzte. „Bei meiner Seligkeit“ sagt er endlich. Was wollte er anders.

Oh Dürrenmatt. Du bist der Grund, warum über meinem Schreibtisch eine Liste aller Unis hängt, an denen ich Literatur studieren kann. Und dabei habe ich noch gar nicht alles von dir gelesen. Noch nicht einmal besonders vieles.
In Dürrenmatt verliebt habe ich mich schon so halb als wir die Physiker in der Schule gelesen haben. Zu dem Zeitpunkt konnte ich noch überhaupt nicht sagen, warum. Jetzt weiß ich es: Wegen seiner Sprache. Aber dazu gleich mehr.
Als ich das letzte Mal (natürlich vor Corona-Zeiten) bei meinem Opa war, habe ich (mal wieder) einen großen Stapel Bücher mitgenommen. Bücher aus seinen Zeiten als Deutschlehrer und -student – unter ihnen auch „Das Versprechen“ von Dürrenmatt. Seitdem lag es in dem großen Stapel neben meinem Bett, weil ich wusste: Für Dürrenmatt muss ich mir Zeit nehmen. Mit dem hörst du eh nicht wieder auf. Recht hatte ich.

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„Das Versprechen“ ist ein Krimi, der sich nicht immer wie einer anfühlt. Der Ich-Erzähler hat in einer fremden Stadt einen Vortrag übers Krimi-Schreiben gehalten und trifft abends an der Bar auf einen ehemaligen Polizei-Kommandanten, Dr. H., der ihm nach einigen Gläsern anbietet, ihn am nächsten Tag nach Hause zu fahren. Während der langen Autofahrt erzählt Dr. H. schließlich von einem ehemaligen Kriminalkommissaren Matthäi und einem Kriminalfall, der ihn noch immer beschäftigt. Es ging dabei zunächst um den Mord eines kleinen Mädchens, eines kleinen Mädchens mit rotem Rock, und am Ende ging es um noch so viel mehr.
Und dann saß ich da, in meinem roten Rock (Zufall, ich schwöre!), ich, die Krimis gar nicht so besonders mag, und habe seit langem wieder ein ganzes Buch in einem Rutsch gelesen. „Das Versprechen“ ist ein Krimi, ein guter sogar – sofern ich das beurteilen kann – aber er ist auch mehr das. Der Verlag schreibt im Klappentext „Wieder einmal gelingt es Friedrich Dürrenmatt ein kriminalromanhaftes Geschehen zu einem Vorgang von gleichnishafter Bedeutung auszuweiten.“ und besser könnte ich es wohl nicht ausdrücken. Es hat mich nicht losgelassen, das Versprechen, auch jetzt, ein paar Tage nach dem Lesen nicht. Und zwar weder die Handlung und die Figuren noch die Sprache: Das Bild vom roten Rock. Das titelgebende Versprechen um die Seligkeit. Die ganz kurzen Sätze und die ganz langen. Das Gefühl, mit dem mich „Das Versprechen“ verlassen hat. Für mich ist Literatur fühlen. Und Dürrenmatt schafft es immer wieder, mich durch seine Sprache fühlen zu lassen. Nicht durch die atemberaubendsten Handlungen, nicht durch die großartigsten Figuren – durch seine Sprachgewalt. Immer und immer wieder trifft er einen Nerv in mir, der mich erst zum Fühlen und dann zum Denken bringt.
Was bedeutet dieser rote Rock eigentlich? Deutet er auf einen Sexualdelikt hin? Bedeutet er ein „Aber-was-hattest-du-an?“? Eine Metapher für den Täter, der wie ein Stier rot sieht? Ein Zufall, der zu der grausamen Tat führt und die Willkür von Gewalt zeigt?
Was bedeutet ein Schwur? Wie leicht wird geschworen und wie schwierig wird er eingehalten?
Was bedeutet eigentlich Seligkeit? Und wäre es besser gewesen, wäre der Kommissar bei seiner kalten, aber genial sachlichen Art geblieben, anstatt für diesen Fall etwas zu fühlen? War er, das Genie, vor diesem Fall selig? Kann er es (wieder) werden?
Wieviel kann ein Mensch aushalten? Psychisch? Was macht einen psychisch gesunden, was einen psychisch kranken Menschen aus? Wo lässt sich eine Grenze ziehen? Lassen sich solche Dinge verhindern? Wie?
Es ist kein langer Roman. Es ist kein einzigartiger, atemberaubender Einfall. Es ist Literatur. Literatur, die fühlen lässt. Literatur, die nicht aus dem Kopf geht.
Was soll ich sagen – ich lieb’s.

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2 Kommentare zu „„Das Versprechen“ – Friedrich Dürrenmatt“

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