Mileva Maric war die erste Frau von Albert Einstein. Es ist seit einigen Jahren eine hitzige Debatte entbrannt, wie viel diese Frau an dem physikalischen Werk ihres Mannes mitgewirkt hat. Von überhaupt nicht, über „als Diskussionspartner“ oder „nur die Mathematik“ bis hin zu „sie war die eigentliche Begründerin der Relativitätstheorie“ findet sich so ziemlich jede Ansicht. In Briefen von Albert an Mileva heißt es zum Beispiel: „Wie stolz und glücklich werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über Relativbewegung siegreich zu Ende gefühlt haben.“ Und die erste Version des Aufsatzes über die Relativitätstheorie, die eingeschickt wurde, trägt den Namen „Einstein-Marity“ als Autor – Marity war die ungarische Schreibweise von Milevas Nachnamen. Doch letzten Endes wissen wir nicht, wie es war. Dieses Rätsel wird wohl ungelöst bleiben.
Doch was wir wissen ist, dass Mileva Maric eine der ersten Frauen war, die Physik und Mathematik studierte. Wir wissen, dass sie eine hoch intelligente Wissenschaftlerin war. Doch ihr Name ist nach wie vor unbekannt – auch ich hatte noch nie etwas von hier gehört, bis mir Marie Benedicts Buch „Frau Einstein“ in die Hände fiel. Sie schreibt Mileva Marics Geschichte einfühlsam und hochemotional aus der Sicht der Wissenschaftlerin selbst. Vorweg ein Disclaimer: Es muss uns bewusst bleiben, dass es sich bei „Frau Einstein“ um einen Roman handelt. Er ist zwar gut recherchiert und nah an der Realität geschrieben – aber eben nur so weit, wie die Realität bekannt ist. Der Rest ist Fiktion. Es ist durchaus gut möglich, dass sich die Geschichte so oder so ähnlich ereignet hat – aber es ist auch möglich, dass alles ganz anders war.
Marie Benedict ist dadurch durchaus in Kritik geraten, immerhin liest sich der Roman an einigen Stellen doch sehr biografisch, biografischer als er ist. Doch ich habe ihn geliebt. Es ist mir nicht immer leicht gefallen, diesen Nein-das-ist-keine-richtige-Biografie-Aspekt im Hinterkopf zu behalten, vor allem, weil mich die Geschichte von Benedicts Mileva so mitgenommen hat. Ganz kurz zu dem Roman: Benedict beginnt die Geschichte im Oktober 1896 zu erzählen, als Mileva zum Studieren nach Zürich zieht. In drei Teile aufgeteilt erleben wir die Zeit ihres Studiums mit, die Kämpfe, die sie als serbische, humpelnde, weibliche Studentin zu fechten hat, die sich anbahnenden Gefühle zu ihrem Kommilitonen Albert, die Zerrissenheit zwischen Liebe und Wissenschaft, ihre uneheliche Schwangerschaft, die Heirat, die Ehe, die nächsten zwei Kinder – bis zum Juli 1914.
Dieser Zeitraum von 18 Jahren mag nun furchtbar lang erscheinen – ich selbst bin nicht der größte Fan von langen Zeitspannen – aber Marie Benedict schafft es, den Sog, den sie mit ihrem Roman entstehen lässt, auch über die Zeitsprünge hinweg aufrecht zu erhalten. Das Buch hat mich emotional total berührt, so nah an der Person Mileva Maric, so einfühlsam und aufwühlend ist Frau Einstein geschrieben.
Wer sich ganz überraschen lassen will von der Handlung, der sollte nun aufhören zu lesen. Doch eigentlich wird schon im Klappentext klar, dass die Beziehung zu Albert Einstein nicht so romantisch und erfüllend war, wie man sich die Beziehung zweier leidenschaftlicher Wissenschaftler vorstellen könnte. Das Buch hat mich zum Weinen gebracht, zum Leiden, aber vor allem hat es mich wütend gemacht, sehr wütend. Denn die Liebesgeschichte von Albert und Mileva beginnt als eine liebevolle, leidenschaftliche, gleichgestellte und -berechtigte Partnerschaft. Ich konnte gar nicht anders, als mich mit Mileva gemeinsam in diesen jungen Wissenschaftler zu verlieben, der sie als einer der ersten Männer, denen sie begegnete, so vollkommen ernst nahm und ihr auf Augenhöhe begegnete. Umso wütender machte es mich, was für ein Arsch Benedicts Albert wurde. Wie ekelhaft er sie herabwürdigte, mit jedem Tag ein bisschen mehr. Jedes Mal, wenn ein neues Vergehen an Mileva dazukam, brach mein Herz ein kleines bisschen mehr. Denn ja, mir ist bewusst, dass es ein Roman ist. Dass vielleicht alles ganz anders war, als Marie Benedict es in Frau Einstein erzählt. Doch wenn es nicht Mileva Maric passiert ist, so passiert es doch unzähligen anderen Frauen. Unzählige Frauen, deren Namen wir nicht kennen, weil ein Mann sie in seinen Schatten drängte. Benedicts junger Albert Einstein war ein charismatischer und vor allem ein aufgeklärter junger Mann. Ein Bohemien. Doch selbst der aufgeklärteste Mann gibt sich manchmal sexistischen Strukturen hin. Und das ist es, was mich so wütend gemacht hat. Benedicts Albert steht nur stellvertretend für eine nie endende Reihe von Männern, die sich als Feminist sehen und geben – bis sich dann in den entscheidenden Momenten, ob das nun die spektakulären Aufsätze zur Relativitätstheorie oder die alltägliche Selbstverständlichkeit des Haushalts sind, zeigt, wie tief der Sexismus reicht. Es ist die eine Sache, Frauen von vorneherein und offen zu diskriminieren. Das ist furchtbar und grausam und ungerecht genug. Aber es ist noch eine ganz andere Sache, sich als Feminist zu geben und sich in eine vermeintlich gleichberechtigte Partnerschaft zu begeben, nur um dann, in diesem entscheidenden Moment – in diesem Fall der Veröffentlichung der Relativitätstheorie – die Abhängigkeit der Frau vom Mann, zu der sie die sexistische Struktur unserer Gesellschaft zwingt, auszunutzen. Benedicts Mileva Maric ist in diesem Fall abhängig von Albert, weil eine Veröffentlichung allein unter ihrem Namen eine vernichtend geringe Chance hätte, in der Wissenschaft Anklang zu finden. Der Albert Einstein dieses Buches macht sich das zu Nutzen. Das, und dass er als Mann den Stellenwert hat, dass er allein entscheiden kann, welcher Name auf den Aufsatz kommt, ohne dass es hinterfragt wird. Diese Diskriminierung ist noch sehr viel perfider als die, die Mileva zum Beispiel am Anfang durch ihren Professor ertragen muss. Und vor allem ist sie so viel schwieriger zu bekämpfen. Wenn eine Universität keine Frauen aufnimmt, dann ist das öffentlich, dann können Frauen und Männer gleichermaßen dagegen angehen. Die Fakten und Zahlen erzählen dann eindeutig von dieser Ungerechtigkeit. Wenn Sexismus aber zuhause passiert, im Alltag, im Zwischenmenschlichen – dann muss erst einmal erkannt werden, dass das, was gerade passiert, tatsächlich ungerecht und sexistisch ist. Und dann muss man auch noch wütend werden, und nicht einem Menschen Dinge verzeihen, weil sie einem nahe stehen, und weil er „eigentlich ja gar nicht so ist“.
Das alles muss geschehen, bevor diese perfide Form des Sexismus bekämpft werden kann. Deswegen brauchen wir Romane wie Frau Einstein, auch wenn die Geschichten fiktiv sind – um Ungerechtigkeit zu empfinden. Und dann wütend zu werden.
